Standpunkt: Vom Umgang mit Bären, Haien und der Natur

Bevor wir über Haie vor Hurghada sprechen, sprechen wir erst einmal über Bären. Im April joggte ein Jogger durch das Trentino. Das war ein Fehler. Er wurde von einer Bärin angefallen und getötet. Der Unfall füllte tagelang die Schlagzeilen. Natürlich stellte sich schnell die Frage, wie klug es ist, sich joggender Weise durch das Trentino oder gleich die ganzen Alpen zu bewegen. Natürlich fehlte es auch nicht an fachmännischen Hinweisen, wie man sich im Falle einer Bärenbegegnung zu verhalten habe. Vielleicht sind die Alpen ja gar kein Ferienparadies, sondern ein Hort der Lebensgefahren. Sind sie zweifellos, aber sicher nicht wegen der blutrünstigen Bären. Jedes Jahr sterben im Schnitt 120 Menschen in den Alpen. Sie werden von Lawinen verschüttet, stürzen in Gletscherspalten oder rasen sich auf Skipisten sinnlos den Schädel ein. Niemand hält das davon ab, in den Alpen Urlaub zu machen. Aber wehe, es kommt mal ein Bär um die Ecke.

Hai vor Hurghada

Und nun ist es schon wieder passiert. Ein knappes Jahr, nachdem vor Sal Hasheesh zwei Frauen von einem Hai getötet wurden, erwischte es nun einen 23jährigen kurz vor Sekala. Dieser Haiunfall traf buchstäblich ins geografische Herz der Tourismushochburg Hurghada. Das Geschehen ist, dank vieler Handykameras, nahezu lückenlos dokumentiert. Minuten vor dem Angriff kreuzte der Hai noch am Steg des Hotels – zur Freude der meisten Zuschauer. Das änderte sich kurz darauf, als der Hai den jungen Russen angriff. Es gibt ein Video, das ist ziemlich grauenhaft, weil es den Todeskampf des Schwimmers zeigt, aber es dokumentiert auch, dass Hilfe schnell unterwegs war und leider zu spät kam. So fragwürdig es ist, dass bei einem Unglücksfall heutzutage sofort die Handykameras dabei sind, um ja alles aufzunehmen, so sehr kann vielleicht dieses Video auch bei der Verhaltensforschung von Haien hilfreich sein.

Hai gefangen und getötet?

Im Gegensatz zu anderen Unfällen mit Haien in der Vergangenheit, scheint es dieses Mal wohl keine große Diskussion um den Übeltäter zu geben. Schon am Steg war der Tigerhai deutlich zu identifizieren, eher er den Schwimmer angriff und danach getötet wurde. Aus der Situation heraus war das logisch, verständlich und wohl auch unvermeidbar. Auch dass in diesem Moment der Schutz der Menschen vor Natur- und Artenschutz geht, ist selbstverständlich. Doch bei all der Trauer über den Tod eines Menschen, bleibt auch ein bitterer Nachgeschmack. Die Folge wird nämlich wieder sein, dass wieder viele Haie dem Roten Meer „entnommen“ werden, ohne dass man sich jetzt im Moment viele Gedanken über die Folgen für das Ökosystem macht. Und da sind wir an einem sehr heiklen Punkt. Es lässt sich kaum abstreiten, dass es in den letzten Jahren vermehrt zu Haiangriffen im Roten Meer gekommen ist – und das in einer Region, in der Jahrzehnte lang nichts passiert ist. Offenbar scheint sich im Roten Meer etwas zu verändern. Das betrifft nicht nur Haiangriffe. Seit einigen Jahren hat sich die Zahl der Walhaibegegnungen, sehr zur Freude von Tauchern und Schnorchlern, deutlich gesteigert. Ist das ein Zufall oder vielleicht nur die andere, erfreulichere Seite, derselben Medaille? Es ist durchaus denkbar, aber längst nicht bewiesen, dass das veränderte Verhalten der Haie mit menschengemachten Faktoren zu tun hat. Umso wichtiger ist, dass dieser Vorfall genau aufgearbeitet und mit den Unglücksfällen der vergangenen Jahre verglichen wird.

Schafe oder schwanger?

Bislang weiß man nur, dass ein Hai einen Menschen angegriffen hat. Doch die Erklärungsversuche, warum das passiert ist, schießen schon wieder ins Kraut. Sie klingen fast wie eine tibetanische Gebetsmühle. Häufig geht es dabei um Tierkadaver, meistens um tote Schafe, die wahlweise von Schiffen geworfen oder von verantwortungslosem Hotelpersonal im Meer versenkt wurden. Eine andere Variante brachte – auch mal wieder – Taucher ins Spiel, die Haie angefüttert haben sollen. Nichts davon lässt sich bislang belegen oder widerlegen. Eine Theorie, die gerade in Hurghada lebhaft diskutiert wird, ist die Frage, ob es sich bei dem Tigerhai um ein trächtiges Weibchen gehandelt und das sich zum Gebären in flaches Gewässer begeben habe. Das scheint zumindest auch möglich, vielleicht auch plausibler, aber auch das ist noch nicht bewiesen.

Alles nur Fake-News?

Schließlich gibt es auch noch die Variante, dass es sich um Fake-News gehandelt habe. Die Videos könnten ja gefälscht sein. Außerdem war das Opfer angeblich ein junger Russe, der als Putin-Gegner aus seinem Heimatland geflohen sei. Auch könne die Falschmeldung in die Welt gesetzt worden sein, um der Tourismusdestination Ägypten zu schaden. In diesem Fall müsste das ägyptische Umweltministerium ebenfalls einem Fake aufgesessen sein oder die Meldung war ebenfalls gefälscht. Beides scheint gleichermaßen unwahrscheinlich.

Wie mit der Natur umgehen?

Doch selbst wenn das alles wirklich nur ein großer geschmackloser Fake gewesen wäre, dann würde auch der die gleiche Frage aufwerfen, wie der reale Unfall: Wie gehen wir mit der Natur um? Wenn wir die Natur als Erlebnis-, Urlaubs- oder Erholungsraum begreifen, dann müssen wir auch akzeptieren, dass dieser Raum mit gewissen Risiken und Gefahren behaftet ist. Wer diese Konsequenz nicht akzeptieren mag, hat weder in den Alpen noch am Roten Meer etwas verloren.

Text: Peter S. Kaspar

Foto: Manuela Kirschner (auf dem Bild schwimmt ein Tigerhai friedlich an einer Tauchgruppe in Südafrika vorbei)