Nachruf für einen Schwerkranken

Standpunkt: Das Great Barrierreef ist nicht tot – noch nicht


Wenn es nicht so ernst wäre, würde man gerne mit Mark Twain sprechen: „Die Berichte über meinen Tod sind stark übertrieben“. Die amerikanischen Magazine „Outside“ und „GlobalResearch“ haben am Wochenende das Great Barrierreef offiziell für tot erklärt. Autor der Todesanzeige war der Journalist Rowan Jacobsen. Schon bald haben die verärgerten australischen Behörden darauf reagiert und abgewinkt. Von tot können nun gar keine Rede sein. Sie fürchten, im Gegenteil, dass sich solche Nachrichten negativ auf die Bemühungen zum Schutz des großen Riffes auswirken könnten.

El Niño ist nicht immer schuld

Tatsächlich ist es so, dass es dem größten Barriereriff der Welt nicht gut geht. Daran ist nicht nur El Niño schuld. Das Wetterphänomen in seiner aktuellen Ausprägung wurde schon als Monster und Ungeheuer bezeichnet. Die deutliche Erhöhung der Wassertemperatur hat aber nicht nur in Australien die Korallen erbleichen lassen, auch die Malediven sind betroffen – und selbst im fernen Ägypten sind die Auswirkungen noch spürbar. Vor der australischen Küste war es dieses Mal aber besonders schlimm. Darüber sind sich die meisten Experten einig.

Geteilte Dornenkrone heißt doppelte Dornenkrone

Es gibt aber auch einige Bedrohungen für das gewaltige Riff, die sind dann schon sehr spezifisch – und zum Teil auch hausgemacht. Da sind einerseits die tropischen Wirbelstürme die vor allem den Nordteil des 2.300 Kilometer langen Riffgürtels treffen. Und dann haben die Australier auch heftig mit den gefräßigen Dornenkronen zu kämpfen. Dieser Seestern macht auch in anderen Teilen der Weltmeere ganze Riffe platt, doch in Australien kommen zwei Besonderheiten hinzu. Tritonshörner, die einzigen natürlichen Feinde der Dornenkrone, wurden fast ausgerottet, da das Gehäuse dieser Schnecke aus Dekorationsgründen sehr beliebt war. Zudem gingen viele Australier am Anfang der Plage, die schon viele Jahrzehnte zurückreicht, dann doch eher dilettantisch zu Werke. Eine entzwei geschnittene Dornenkrone bedeutet eben keine tote Dornenkrone zu haben, sondern eher zwei lebendige. Auch Injektionen mit allerhand giftigen Mittelchen brachte keinen Erfolg.

Nicht tot, aber Intensivpatient

Viele Stellen am Great Barrierriff sehen in der Tat ziemlich tot aus. Dagegen ist die Gegend um Cairns, dem Zentrum des Tauchsports, nach wie vor ein tolles Tauchreiseziel (Silent World berichtet darüber in der nächsten Ausgabe). Sehr stark betroffen ist vor allem der Norden. Das Online-magazin „bento“, das zu Spiegel online gehört, hat die Todesnachricht einem Fakten-Check unterzogen und festgestellt, dass das Riff nicht tot ist, aber wohl schon auf der Intensivstation liegt.

Steilvorlage für Populisten

Was ist nun von so einer Todesanzeige zu halten? Natürlich ist der alarmistische Impetus spürbar. Allerdings – wer vorher nicht daran glaubte, dass es dem Riff schlecht ging, den wird die Todesnachricht auch nicht überzeugen können. Tatsächlich scheint diese Art von Panikmache dann eher kontraproduktiv, wenn es darum geht, das Riff zu retten. In einer Welt, in der gerade überall Populisten nach der Macht greifen und sich dabei solcher Argumente bedienen wie „Der Klimawandel ist eine Lüge“, sind solche gefakten Todesnachrichten nur Wasser auf die Mühlen derer, die das gerne glauben.

Maßnahmen sind nötig

Was dem selbst ernannten Leichenbeschauer in den USA nicht klar ist: Wenn der Patient tot ist, braucht er ja auch keine Reanimation mehr. Das heißt, es wäre nun an der Zeit, alle Rettungsmaßnahmen einzustellen und das Geld dafür anderweitig auszugeben. Das allerdings könnte dann tatsächlich das Ende des Barrier-Riffs in seiner jetzigen Form bedeuten.

Peter S. Kaspar

Foto: Tourism Queensland – Hardy-Reef