Betteln ums Verderben

Standpunkt: Wie Unterwasserbegegnungen zum Massenevent wurden

Sie hieß Emma, war ausgemessene 2,14 Meter lang und lebte im einem kleinen Wrack vor der Insel Kuramathi auf den Malediven. Vermutlich wurde sie von der Inselverwaltung als Attraktion für angehende Taucher bezahlt. Jedenfalls rollte sie sich gerne auf den Rücken und ließ sich den Bauch graulen, wenn der passende Tauchlehrer vorbei kam. Wenn sich Emma dagegen in einem Container etwa 20 bis 30 Meter weiter zurück gezogen hatte, dann konnte sie ungemütlich werden, wenn man sie störte. Das war mein erstes Erlebnis mit einem bestenfalls noch halbwilden Tier unter Wasser. Das ist nun 25 Jahre her und Emma wohl schon längst im Muränenhimmel.

Zur gleichen Zeit machte Gertrude von sich reden. Sie war vielleicht nicht der größte, mit Sicherheit aber der fetteste Zackenbarsch im ganzen Roten Meer. Gertrude hatte begriffen, dass sie nur an den Ankerbojen von Umm Gamar herumlungern musste und die Zeit des ewigen nervtötenden Jagens war ein für alle Mal vorbei. Das letzte mal sah ich sie vor rund 20 Jahren mit einem riesigen Geschwür unter dem Maul lethargisch unter einer Tischkoralle liegen. Irgendwann war sie dann weg.

Weiter südlich, am Careless-Reef schwammen derweil riesige Muränen, an helllichtem Tag frei durchs Riff und das gleich dutzendfach. Ab und an schlich sich eine von hinten an einen Taucher heran um zu untersuchen, ob in seiner Jackettasche nicht etwas Essbares zu finden war. Bisweilen hatten sie sogar Glück.

Noch etwas weiter südlich warteten schon mächtige Napoleons an der kleinen Giftuninsel auf ihr hartgekochtes Frühstücksei. Taucher waren meist entzückt, wenn das ein in einem Wassersog zwischen den wulstigen Lippen verschwand und Sekunden später die Eierschalen aus den Kiemen rieselten. Wenigen Jahre später war der größte Teil der Bestände dahingerafft, dahingerafft vermutlich durch eine epidemische Cholesterin-Intoleranz, hervorgerufen durch eine hemmungslose Verfütterung hartgekochter Eier.

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Natürlich ist die Meeresfauna die Attraktion beim Tauchen. Und genau das ist auch das Problem. Das Tauchen gibt einen völlig anderen Blick auf die Natur. Tiere ergreifen in der Regel nicht panisch die Flucht, sobald sie einen Menschen wittern, wie das über Wasser in freier Wildbahn die Regel ist. Die Meeresbewohner sind weit neugieriger als Wildtiere in Wald und Flur. Diese Neugier kann ziemlich verderblich werden, wie die Haie am Fish-Head bei Maayafushi im Ari-Atoll in den 80er Jahren erleben mussten. Motorengeräusche bedeuteten, für sie, dass es nun lecker Fresschen gab, weil Herwarth Voigtmann mit seinem Hai-Zirkus anrückte. Bald hatten maledivische Fischer festgestellt, dass an dieser Stelle das Fischen von Haien ganz besonders einfach war, weil die Tiere ja vom Motorenlärm angelockt wurden. Die traurige Quintessenz: bald gab es keine Haie am Fischhead mehr.

Herwarth Voigtmann ist nicht trotz, sondern wegen seines Hai-Zirkusses zurecht zu einer Ikone in der Taucherwelt geworden. So bedauerlich die Auswirkungen seiner Darbietungen am Fishhead letztlich waren, so unschätzbar groß waren seine Verdienste für den Hai-Schutz eben durch diese Vorführungen. Nach Peter Benchleys Roman und Spielbergs Verfilmung vom weißen Hai, befand sich die Menschheit in einer Art Kollektiv-Phobie. Es waren Leute wie Voigtmann, die mit solchen Aktionen mühsam anfingen die Gattung Hai langsam wieder zu rehabilitieren.

Es ist schon irgendwie komisch: Gerade ihre Neugier und relative Zutraulichkeit bringt Meerestiere bei Begegnungen mit den Menschen bisweilen in höchste Gefahr. Andererseits kann ja gerade diese Begegnung, dieses unmittelbare Naturerleben den Sinn für den Erhalt der Schöpfung sensibilisieren. Nicht alles, was auf den ersten Blick unnatürlich oder wenig Artgerecht wirkt, muss zwangsläufig schlecht sein. Ein näheres Hinsehen ist allemal geboten. Und wenn das Treffen Mensch-Meeresbewohner ohne Rücksicht auf Verluste nur noch dem Kommerz dient, dann gehört es einfach verboten. Nachhaltige und durchdachte Angebote sind dagegen durchaus sinnvoll und zu unterstützen.

Peter S. Kaspar

Bild: Manuela Kirschner